Konjunktiv als Hoffnung

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Écrit par Ewald Ackermann

Peter Bichsel verspätet zum 80.

Für Peter Bichsel, den Poeten und linken Kopfarbeiter, dessen Vater in der SBB-Werkstätte zu Olten gearbeitet hatte und der als Bub beeindruckt war von der Bezeichnung ‚Knotenpunkt‘: „Hier war die Welt verknotet – in Olten umsteigen.“

Wenn ich es früher erfahren hätte: Ich wäre aufgebrochen, an der Hand meinen Sohn und im Brotsack das Literarische Lexikon. «Wir gehen nach Bettlach, möglichst gradaus», hätt ich meinem Sohn gesagt. Und ich hätte nicht gewusst, was antworten, wenn er gesagt hätte: «Bettlach gibt es nicht.“ Wahrscheinlich hätt ich ihm gesagt: „Wir gehen gleichwohl, das muss man wagen. Zur Not könnten wir uns in den Jurahügeln verstecken und könnten eine Bettlacher Begegnung erfinden“. Und um ihm Mut zu machen, hätt ich ihm frei aus dem Literarischen Lexikon zitiert: „P. B., eine Schweizer Literatur-Kreuzung von Hebel, Tschechow und Beckett, Meister der literarischen Kurzform, wohnt in Bettlach, SO, CH.“

Weil wir schnell gehen, wären wir vielleicht am Ort, an dem sich Bettlach verstecken könnte, vorbeigestapft, an mancher Türe auch, an der ein verbeulter Milchtopf auf uns gewartet hätte oder eine angebrochene Flasche Roter oder ein Mann, der zur Weltumrundung aufbrechen will. Wir wären höher gekommen, dahin, wo sich Falten in die Hügel legen, da, wo er vor Jahrzehnten gewandert war mit dem so früh verstorbenen Bundesrat, an Orte, die so schöne Namen tragen wie Hohe Winde, Hasen Matten, Weissensteine und ab und zu – nein, kein weisser Elefant, aber eine Beiz. Und vor einer solchen hätte ich wieder mein Lexikon gezückt und zitiert: „Als tiefen Romantiker gab es für P. B. die Welt nur in uns oder – in der Beiz, die es heute nicht mehr gibt.“

Und damit hätten wir den Bogen geschlagen zum engagierten Linken. Wir hätten gegrillt und gehofft, dass er ja nicht in diesem Moment zu uns gestapft wäre. „Weisst du“, hätt ich meinem Sohn erzählt, „er hat die Beiz noch als Stätte demokratischer Öffentlichkeit erfahren. Und über die Wildwestfilmprärie, in der die Mächtigen den Ärmeren die Kuhherden gestohlen haben, hat er seinen Weg zum Sozialismus gefunden.“ Das hätte mein Sohn verstanden, denn auch ihn hat es von Sitting Bull über Che Quevara zu Karl Marx und dann zurück zu Paul Rechsteiner geführt.

Aber, vielleicht war das mit dem Wildwest doch nur fabuliert, denn da tauchte plötzlich gegen Westen hin dieses Zitat von P. B. auf: „Jene Sozialisten um 1900 herum, die ‚Brüder, zur Sonne, zur Freiheit‘ gesungen haben, haben sich nicht vorstellen können, dass sie je reich werden. Es gab noch kein Eurolotto. Ihr Schicksal als Fabrikarbeiter war ihnen gewiss. Sie wollten nur ein bisschen mehr. Sie wollten noch etwas: nicht für sich, aber vielleicht für ihre Kinder, ihre Enkel. Das Mögliche war da oben auf dem Berg. Es existierte. Ich glaube, und ich meine das überhaupt nicht religiös, sondern ganz pragmatisch: Pragmatismus heisst Hoffnung. Diese gebe ich nicht auf.“

Und spätestens dann hätte es geleuchtet in den Augen meines Sohnes: „Dann schafft auch er am Prinzip Hoffnung, an dem, was allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.“

Lange hätten wir in die Nacht geschwiegen, dem Flug des Busanten träumend zugewandt – und hätten morgens dann Bettlach, Peter Bichsel gesucht.

Peter Bichsel, Poet&Engagierter, Bettlach gibt es nicht, hätten sie uns da gesagt.

Und wir hätten nicht protestiert, wären ahnungsvoll heimgestolpert. Aber da hätte uns unsere Nachbarin, Frau Fleure, die es ja wissen muss, versichert, er würde doch in Bellach, SO, wohnen. „Bellach wie französisch belle und deutsch ach.“

Wir hätten uns zugeblinzelt: Schon wieder ein Konjunktiv…

Ja, und dazwischen verstrich der Indikativ.

Gesetzt den Fall, das wäre ein guter Beginn für eine Geschichte: Wir würden morgen aufbrechen, nach Bellach, um zu gratulieren.

Responsable à l'USS

Daniel Lampart

Sekretariatsleiter und Chefökonom

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